Mainz / Kaiserslautern – Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zur Sozialversicherungspflicht von freiberuflich tätigen Poolärztinnen und -ärzten hat konkrete Auswirkungen auf den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) in Rheinland-Pfalz. Weil neben deutlichen Kostensteigerungen auch massive Mehrbelastungen auf die ohnehin bereits an der Leistungsgrenze arbeitenden Praxen zukommen, ist die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) gezwungen, den ÄBD anzupassen und Angebote zu reduzieren.

Ab dem 1. Januar 2024 müssen als Folge des Urteils einige Ärztliche Bereitschaftspraxen (ÄBP) geschlossen und Öffnungszeiten reduziert werden, um die ambulante Versorgung für die Menschen in Rheinland-Pfalz insgesamt weiter aufrechterhalten zu können.

Ungeachtet der immer wieder vorgetragenen Warnungen der Kassenärztlichen Vereinigungen hatte das Bundessozialgericht am 24. Oktober 2023 entschieden, dass externe Ärztinnen und Ärzte im ÄBD sozialversicherungspflichtig sind. Betroffen davon sind in Rheinland-Pfalz 427 Poolärztinnen und -ärzte, die rund 60 Prozent der Bereitschaftsdienste abdecken. Die KV RLP muss für diese Gruppe nun auch rückwirkend die Beiträge zur Sozialversicherung abführen. Die Personalkosten steigen durch das Urteil um 30 Prozent, dazu kommt ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand. Neben den wirtschaftlichen Folgen bedeutet das Urteil den Verlust von Poolärztinnen und -ärzten und eine massive Mehrbelastung der ohnehin an der Belastungsgrenze arbeitenden Praxen. Zudem steht im Raum, dass in Praxen angestellte Ärztinnen und Ärzte sowie Ü65-Jährige, die freiwillig Bereitschaftsdienste übernehmen, ebenfalls unter die Sozialversicherungspflicht fallen.

Änderungen ab Januar 2024 

Um der Gefährdung der ärztlichen ambulanten Akutversorgung im Sinne der Patientinnen und Patienten entgegenzuwirken, sind ab dem kommenden Jahr strukturelle Maßnahmen mit Blick auf die begrenzten, vorhandenen Ressourcen unausweichlich. Zum einen werden die ÄBP Altenkirchen, Andernach, Emmelshausen, Frankenthal, Gerolstein, Ingelheim und Landstuhl geschlossen. Daneben werden analog zur Regelung in den meisten anderen Bundesländern alle ÄBP in der Nacht geschlossen. Am Tag werden die Öffnungszeiten eingeschränkt. So sind die ÄBP montags, dienstags und donnerstags geschlossen. Mittwoch, Freitag, an Wochenenden und Feiertagen gelten reduzierte Zeiten. Der Fahrdienst bleibt in seiner jetzigen Form bestehen. Auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte kommt in der Konsequenz aus dem Urteil neben den Mehrbelastungen bei den Diensten eine deutlich höhere Umlage von 340 Euro (bisher 270 Euro) monatlich zu.

KV RLP: „Weiterer Beleg für politische Ignoranz“

Für den Vorsitzenden des Vorstands der KV RLP, Dr. Peter Heinz, ist das Urteil ein weiterer Beleg für die politische Ignoranz bei der Sicherung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung:

„Wir haben als Kassenärztliche Vereinigungen immer wieder vor den weitreichenden Folgen eines solchen Urteils gewarnt. Die Patientinnen und Patienten in Rheinland-Pfalz sind jetzt die Leidtragenden einer immer weiter von der Politik forcierten Aushöhlung des ambulanten Systems. Anstatt dieses zu stärken, wird hier einmal mehr sehenden Auges die Gefährdung der ambulanten Versorgung in Kauf genommen.“

Dr. Peter Heinz

Sein Stellvertreter Dr. Andreas Bartels ergänzt:

„Das Urteil ist eine Zumutung für unsere Praxen und unsere Patientinnen und Patienten. Für uns muss es jetzt aber erst einmal darum gehen, die daraus resultierenden Folgen so gut es geht abzufedern.“

Dr. Andreas Bartels

Die ab Januar greifenden Maßnahmen sollen einen Beitrag dazu leisten. Daneben soll die etablierte Patientennummer 116117 durch gezielte Patientensteuerung Entlastung im ÄBD schaffen. Dr. Heinz fordert von der Politik darüber hinaus eine langfristige Lösung:

„Um den Ärztlichen Bereitschaftsdienst dauerhaft sichern zu können, muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen die uns finanziell und personell auch die hierfür notwendigen Möglichkeiten bieten. Wir können es uns nicht leisten, die knappen personellen Ressourcen in der ambulanten Versorgung immer weiter zu belasten und die Niederlassung auch durch die Folgen solcher Urteile immer unattraktiver zu machen.“

Dr. Peter Heinz

„Wenn die Politik weiter untätig bleibt, ist das letztlich auch eine Form unterlassener Hilfeleistung.“

Dr. Andreas Bartels

Gesundheitsminister Clemens Hoch: „Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz muss ärztliche Versorgung im Bereitschaftsdienst sicherstellen“

Derzeit wird ein großer Teil der Bereitschaftsdienste nicht von Mitgliedern der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), sondern von sogenannten „Pool-Ärztinnen und -ärzten“ geleistet. Deren Tätigkeit entlastet die Vertragsärzteschaft von Nacht- und Wochenenddiensten. Bereits am 24. Oktober 2023 hat das Bundessozialgericht allerdings festgestellt, dass ein für die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg tätiger Pool-Zahnarzt der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Die KV Rheinland-Pfalz hat seither die Sorge, dass die hier tätigen Pool-Ärztinnen und -ärzte aufgrund des Urteils keine Dienste mehr übernehmen werden, da sie nicht bereit dazu seien, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Sie hat nun angekündigt, ab dem kommenden Jahr sieben Bereitschaftspraxen zu schließen. Dies betrifft laut eigener Angabe die Einrichtungen in Emmelshausen, Frankenthal, Gerolstein, Ingelheim, Andernach, Altenkirchen und Landstuhl.

„Diese Übersprunghandlung der KV ist nicht nachvollziehbar und geht zu Lasten der Patientinnen und Patienten. Die Leidtragenden sind darüber hinaus die Krankenhäuser und Notaufnahmen, die Ausfälle kompensieren müssen, obwohl diese ohnehin stark belastet sind. Nach unseren Kenntnissen sind lediglich rund zehn Prozent der 430 im Bereitschaftsdienst tätigen Ärztinnen und Ärzte von der nun gerichtlich bestätigten Sozialversicherungspflicht erstmalig betroffen; eine Sozialversicherungspflicht, die im Übrigen in Deutschland für jeden Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin gilt. Das Bundessozialgericht hat mit seiner Entscheidung der Scheinselbstständigkeit bei einigen Pool-Ärztinnen und Ärzten einen Riegel vorgeschoben. Die Kassenärztliche Vereinigung hat sicherzustellen, dass anfallende Sozialabgaben auch ordnungsgemäß gezahlt werden. Dies nun als Anlass zu nehmen, ihren Sicherstellungsauftrag bei der Bereitstellung des Bereitschaftsdienstes nicht erfüllen zu wollen, ist ein rein vorgeschobenes Argument und eine mehr als eigenmächtige Interpretation.“

Gesundheitsminister Clemens Hoch

Darüber hinaus spiele die KV mit den Ängsten der Menschen. Der vertragsärztliche Bereitschaftsdienst übernehme nachts, an Wochenenden und an Feiertagen die Aufgaben der Vertragsärzteschaft einschließlich der medizinisch erforderlichen Hausbesuche. Er ist unter der Nummer 116 117 erreichbar.

„Vereinfacht gesagt ist der ärztliche Bereitschaftsdienst der „Hausarzt am Wochenende. Dass jetzt von der KV suggeriert wird, es breche die Notfallversorgung zusammen, stimmt einfach nicht.“

Gesundheitsminister Hoch

Die Notfallversorgung funktioniere gut in Rheinland-Pfalz und habe mit diesem Verhalten der KV nichts zu tun. Er erinnerte zudem daran, dass die Versorgung von lebensbedrohlichen Notfällen bei denen sofortige Hilfe notwendig ist, Aufgabe des Rettungsdienstes sei, der rund um die Uhr unter der Telefonnummer 112 erreichbar ist. Erst die Entscheidung der KV, die Bereitschaftsdienstzentralen zu schließen, verschärfe aber die Situation in den Notfallstrukturen, denn die Menschen, die abends und am Wochenende medizinischen Rat suchen, würden nun von der KV im Stich gelassen.

Die Sicherstellung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz als Selbstverwaltungskörperschaft der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte. Die Kassenärztliche Vereinigung ist somit verpflichtet, gesetzlich Krankenversicherten auch außerhalb der Sprechstunden der Praxen eine Versorgung anzubieten. Hierzu kann sie ihre Mitglieder, die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte zu Bereitschaftsdiensten einteilen. Darüber hinaus verpflichtet die Berufsordnung alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen und sich hierfür fortzubilden.

Bei der Ausgestaltung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes handelt die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz eigenverantwortlich. Das Sozialgesetzbuch beschränkt die Aufsicht der Landesregierung über die Kassenärztliche Vereinigung auf eine reine Rechtsaufsicht. Dies bedeutet, dass das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit lediglich Rechtsverstöße beanstanden kann. Das Ministerium kann jedoch keine fachlichen Vorgaben z.B. zu den Standorten der Bereitschaftspraxen machen.

„Wenn die KV in ihrer Selbstverwaltung jetzt zunehmend nicht mehr den eigenen Aufgaben nachkommt, macht sie sich selbst überflüssig.“

Gesundheitsminister Hoch

Dann müsse auch über eine Gesetzesänderung auf Bundesebene nachgedacht werden. Der Vorstand der KV Rheinland-Pfalz werde zeitnah einbestellt werden, um die Angelegenheit zu besprechen.

„Wir werden grundlegend über ein gewisses Rollenverständnis sprechen müssen. Es kann nicht sein, dass die KV ihre Hausaufgaben nicht erledigt und dann Schuldzuweisungen an andere ausspricht.“

Gesundheitsminister Hoch

KV RLP: „Aussagen aus Gesundheitsministerium verkennen Praxisalltag“

Mit Unverständnis hat die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) die in Inhalt und Tonalität unangemessenen Aussagen von Gesundheitsminister Clemens Hoch zur Rolle und zur Leistung der engagierten Ärzte- und Psychotherapeutenschaft in Rheinland-Pfalz zur Kenntnis genommen und weist sie in aller Deutlichkeit zurück.

„Die Äußerungen stellen nicht nur eine befremdliche Missachtung der ärztlichen Selbstverwaltung dar, sie verkennen auch die tatsächlichen Bedingungen in der Niederlassung. Wir würden uns sehr wünschen, dass sich die Politik ernsthaft mit den Problemen in der ambulanten Versorgung befasst und konstruktiv nach Lösungen für Praxen und Patienten bzw. Patientinnen sucht, statt mit dem Finger ausgerechnet auf diejenigen zu zeigen, die das System trotz immer schwierigerer Rahmenbedingungen am Laufen halten.“

Dr. Peter Heinz, Vorsitzender des Vorstands der KV RLP

Hoch hatte die Anpassungen im Ärztlichen Bereitschaftsdienst kritisiert, die als direkte Konsequenz aus dem Urteil zur Sozialversicherungspflicht von Poolärztinnen und -ärzten notwendig werden. Um die bereits seit Langem am Limit arbeitenden Praxen zu entlasten und die ambulante Versorgung der Menschen auch weiterhin sicherstellen zu können, werden Einschränkungen bei Standorten und Öffnungszeiten unausweichlich.

„Die Ärztinnen und Ärzte mit ihren Praxispersonal engagieren sich tagtäglich, um politische Fehlentwicklungen und ausbleibenden Reformwillen abzufedern. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sie längst an ihre Grenzen stoßen und Entlastung dringend notwendig ist.

Dr. Peter Heinz

„Es braucht den politischen Willen und einen respektvollen Umgang mit der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft, um die systematisch geschwächten Strukturen nachhaltig zu stärken.“

Dr. Andreas Bartels, stellvertretender Vorstandsvorsitzender

Mit Blick auf die immer weiterwachsenden Herausforderungen für die Praxen sowie eine sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten wünscht sich die KV RLP einen lösungsorientierten Umgang.

„Politik muss praxisnah sein. Das heißt, sie muss bei den Ursachen ansetzen und sorgsam mit den begrenzten personellen Ressourcen in der ambulanten Versorgung umgehen.“

Dr. Peter Heinz

„Wir wünschen uns ein politisches Handeln, das sich an der Sache orientiert, die Praxen sowie die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellt und der ambulanten Versorgung eine Perspektive gibt. Die KV RLP steht immer bereit, um gemeinsam Lösungen zu finden.“

Dr. Andreas Bartels

Quelle: Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz, Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit